Aus „Rheinecker Hof” wird "Stammbaum"

Zuvor allseits bekannt unter dem Namen „Rheinecker Hof” wird eine der ältesten Gaststätten in Andernach nach vorangegangenen Renovierungsarbeiten am Freitag, den 13.12.2013 ab 18.00 Uhr unter dem neuen Namen „Stammbaum” wieder eröffnet. Jassna und Waldemar Thiele, bekannt als Hofdame und Prinz der Karnevalssession 2013, erfüllen sich mit dieser neuen Herausforderung einen lang gehegten Traum. Der neu gewählte Name „Stammbaum” beruht neben der familiären und traditionellen Herkunft auch auf ein bekanntes Lied einer der ursprünglichsten Kölschen Musikgruppen, in deren Text es heisst... „su simmer all hir hin jekumme, mir sprechen hück, all` die selve Sproch...”.

           

'' et Wutzetraut ''

 

Wer erinnert sich nicht noch an die Gaststätte im Marktgässchen, den Rheinecker-Hof, der von den alten Andernachern fast liebevoll '' et Wutzetraut '' genannt wurde. Legendär war das dort gezapfte Pils, hier ist besonders das Schultheis- Pils zu nennen, das eben aber ganz anders, man darf sagen, viel besser schmeckte als in anderen Gaststätten der Stadt. Das Geheimnis lag in der Pflege von Leitungen u. Zapfanlage und an der Zeit, die man sich zum Zapfen eines Pilsbieres nahm. Schneller Durst zu löschen war hier nicht möglich, dafür konnte man sich um so intensiver einem gepflegten Biergenuss hingeben. Über 3 Generationen galt der Rheinecker Hof als klassisches Altstadtlokal, einprägsam mit dem Spitznamen'' et Wutzetraut ''. Von der Namensgebung ausgehend hätte man zumindest in früheren Jahren von Unsauberkeit oder Schmuddeligkeit ausgehen können, das Gegenteil war jedoch hier die Regel. Interessant ist sicher der Versuch, die Frage zu klären: Wie kommt man an einen solchen Spitznamen, der von der damaligen Inhaber- und Besitzerfamilie Endres mit allen nur erdenklichen Mitteln bekämpft und verfolgt wurde? Schiedsmann u. Gerichte wurden von den Endrese bemüht, wenn jemand diesen Spitznamen in den Mund nahm. Absolutes Lokalverbot war in der Regel die Folge, was dann auch von Tante Lisbeth, ihrer Schwester Anna und deren Sohn Georg ( Schorsch ) strengstens überwacht wurde. Ja, wie kommt man nun an einen solchen Namen? Im Nachfolgenden der Versuch einer möglichen Deutung:Die Eltern der beiden Schwestern Lisbeth u. Anna betrieben vor dem ersten Weltkrieg die Gaststätte Rheinecker-Hof mit einem kleinen Getränkehandel.

Hinter dem damals recht bescheidenen Anwesen im Marktgässchen befand sichein kleiner Hof, in dem die Endrese Limonade herstellten. Man roch damals über die angrenzenden Straßen, machen die nun Orangen oder Waldmeister oder Himbeere oder was auch immer für eine Brühe? Die Andernacher sprachen von Limonadewutzen, damals ein Mischprozeß aus Wasser, Zucker, Farbe und Aroma. Die Brühe wurde dann abgefüllt mit ein wenig Kohlensäure, in sogenannte Kugelflaschen,  die aber nur eine ganz geringe Haltbarkeit garantierten. Ob im Haus noch Schweine, wie damals üblich, gemästet wurden ist nicht belegt, wird aber bei den vielen Abfällen einer Restaurantküche wahrscheinlich gewesen sein. Andernacher, die dies genau noch wissen könnten leben nicht mehr. Die 2. Generation, die das Geschäft nach dem Tod der Eltern führte, waren 3 Geschwister: Anna, Lisbeth und ein Bruder, der als Getränkehändler tödlich verunglückte. Anna heiratete und bekam 1927 ihren Sohn Georg, von allen nur Schorsch genannt, und Lisbeth blieb solo und war fortan die starke Frau im Hause, die ihrer Schwester immer übel nahm, einen Sohn aber keinen Mann mehr zu haben. Dieser hatte sich schon früh von Anna getrennt. Im Krieg wurde ein Teil des ursprüng-lichen Anwesens Endres zerstört, bis dann  Anfang der 50er-Jahre in Andernach der Ruf erschallte, der sich sogar reimte:

'' et Wutzetraut wird wieder aufgebaut.'' Selbst ein Karnevalswagen soll dies zum Thema gemacht haben. Aber was hat die drei, Anne, Lisbeth und Schorsch dazu gebracht, derart massiv gegen den Spitznamen vorzugehen? Hierauf eine passende Anwort zu finden ist sehr schwer. Kenner der Szenebehaupten, die waren sehr reich, hatten viele Baugrundstücke in bester Ander-nacher Wohnlage und waren unglaublich sparsam. Sie wollten zu hoch  hinaus,suchten nach Anerkennung, da hat der Spitzname charakteristisch absolut nicht zu ihnen gepasst.  Der Schreiber dieser Zeilen erfuhr, was es heißt, den von allen Andernachern gebrauchten Spitznamen auch nur mit einem klaren '' Ja  '' zu bestätigen. Die folgenden Sätze sind in der Form des Erlebten wiedergegeben. Anna u. Lisbeth saßen mal wieder hinter den Gardinen in der Fensterecke des Lokals und schnuddelten über die Nachbarschaft. Angefangen beim Heims Will mit seinem Obst- u. Gemüseladen, über die Eschweilers mit ihrer Bäckerei, bis zu den Freyers, als unmittelbare Nachbarn mit ihrem Butter-Eier-Käsegeschäft.Sicher war auch der Chronist dieser Zeilen, der um die Ecke wohnte, oft ein Grund zum Schnuddeln für den Endres-Clan, denn im Rheinecker-Hof bekam jeder, so hieß es, sein Fett weg. Ich darf nun festhalten, dass ich 1973 meinem damals 4 jährigen Sohn Peter versprochen hatte: Wenn du ein Schwesterchen bekommst und Mutti liegt im Krankenhaus, dann machen wir zu Hause aber richtige Männerwirtschaft und dazu gehört auch ein Spätschoppen beim '' Wutzetraut '' im Marktgässchen. Peters Schwester Ruth war nun geboren und Papi musste Wort halten.   Wir betraten das Lokal, Peter war voller Erwartung. Ich setzte ihn auf einen Barhocker und mich daneben. Wir waren an diesem frühen Abend die ersten Gäste. Schorsch bediente, Bier für den Papi und Limo für den kleinen Peter.

Jetzt Orginalton  Anna u. Lisbeth: '' Oh datt es däine Pitter. '' Beide wackelten von ihren Kibitzsitzen am Fenster, von wo sie gerade wieder die junge Frau von Helmut Eschweiler kritisierten, hinter die Theke: '' Oh batt en lewe Kerl, datt es däine Pitter, der kütt awe genau off däin Frau eraus, der hätt awe nett vill von dir. '' Ich dachte: Wenig taktvoll wie sie dies sagen, schluckte und sagte '' Danke! '' Nach diesem Nachtreten, wie es ganz normal bei ihnen war, übertrafen sich die beiden Tanten mit Liebenswürdigkeiten und reichten Salzstängelchen, Chips und Schokolade. Und Anna sagte nun: '' Pittersche, mir hann och noch Pralinsche, welste e paar ? '' Peter wusste nicht wie ihm geschah, denn ich hatte die Endrese immer als sehr sparsam bis knauserig beschrieben. Mein Junge war überwältigt, dies hatte er so nicht erwartet. Er schaute mich an und fragte in kindlicher Naivität: '' Papa, sind wir denn hier beim Wutzetraut? '' Mir blieb im Moment die Spucke weg, ich sah die starren Blicke und die offenen Münder von Anna, Lisbeth und Schorsch auf mich gerichtet, die ausdrückten:

Wie wird er reagieren, was wird er jetzt sagen? Ich habe dann laut und deutlich '' Ja, Peter, '' geantwortet, was zur Folge hatte, dass sich die drei zur Beratung in die Küche zurückzogen. Man vernahm harte Auseinandersetzungen. '' Datt jäht net, su net met ons, der Quant ( Peter ) wäs datt bestimmt von dem Aal '' und wieder schnuddeln, schnuddeln, schnuddeln. Peter wirkte verstört, mein Sohn ahnte jetzt, hier hatte er etwas Falsches gesagt. Anna u. Lisbeth blieben nun in der Küche.Schorsch wurde ins Lokal zurückgeschickt um mir mitzuteilen, ab sofort gibt es im '' Rheinecker Hof '' für Heinz Wessels kein Bier mehr. Das hieß im Klartext-'' Lokalverbot '', das dann für 5 Jahre, bis lange nach dem Tode von Lisbeth, Bestand hatte. Schorsch starb mit 53 Jahren Anfang der 80er Jahre, seine Mutter Anna ist mit dem großen Vermögen der Familie auch nicht glücklich geworden, sie starb hochbetagt, aber einsam, Ende der 80er Jahre in ihrer Villa im Römerweg. Es dauerte viele Monate, bis die Verwandten 2. und 3. Grades für das Erbvermögen der Familie ermittelt werden konnten. Keiner von ihnen hatte sich um die so fleißigen und sparsamen Endrese gekümmert. Das Lokal wurde verkauft und war dann 25 Jahre im Besitz der Eheleute Karl u. Helga Seemann, die im Haus ein  gut gehendes Restaurant mit Hotel betrieben und die dann in den vergangenen Jahren aus Altersgründen das Geschäft an Peter Hoffmann verkauften. Die Eheleute Seemann und auch  Peter Hoffman hatten nie etwas gegen die Verwendung des Spitznamens. Im Gegenteil, immer kam Freude auf, wenn der Name Wutze-Karl  für Karl Seemann fiel oder heute der Name Wutze-Peter für Peter Hoffmann fällt. Merke! Nur dann entfaltet ein solcher Spitznamen seine ganze Wucht u. Wirkung, wenn sich die  Betroffenen massiv dagegen wehren, wie im Falle des Endrese-Clans. Und noch eines darf man aus dieser Geschichte mitnehmen:

Trage einen Spitznamen, wenn du denn einen hast, mit Stolz!

 

Andernach, im März 2012

Heinz Wessels,  von vielen auch genannt Fatze